Ganzheitlichkeit und Entwicklung – Interviewreihe mit Friedrich Glasl Teil 3: Die Kraft des sozialkünstlerischen Arbeitens

Eine Besonderheit von Friedrichs Glasls Wirken ist die Breite und Tiefe seiner Entwicklungsarbeit. Er hat einerseits grundlegende Modelle wie die Eskalationsstufen von Konflikten, das ganzheitliche Systemkonzept der 7 Wesenselemente, die Basisprozesse der Organisationsentwicklung und viele weitere entwickelt, während er andererseits eine enorme Anzahl an Methoden (wie die U-Prozedur, den Aspekteraster, die Delta-Diagnose, die Visionsarbeit in 8 Schritten ....) ausgearbeitet hat, die im Rahmen der grundlegenden Konzepte bis ins Detail instrumentiert sind. Dabei ist ihm die Verbindung von Kognition und Intuition immer ein besonderes Anliegen gewesen, und er hat eine Vielzahl an so genannten sozialkünstlerischen Vorgehensweisen entwickelt, seien es metaphorische, szenische oder Farbmethoden. Im dritten Teil des Interviews, das ich mit ihm führen durfte, berichtet er, dass die Verbindung von Wissenschaft/Beratung und Kunst ihm immer schon ein wichtiges Anliegen war und den Menschen als Ganzheit stärker anspricht und würdigt, als ein rein kognitiv-rationales Vorgehen.

Erkenntnisprozesse durch sozialkünstlerische Methoden

Als ich meine Ausbildung bei Fritz begonnen hatte, war ich anfangs gleichermassen erstaunt und überfordert mit dem ganzheitlichen methodisch-didaktischen Ansatz der OE-Werkstatt. Schon am ersten Tag begannen wir sozialkünstlerisch zu arbeiten, indem wir unsere innere Landschaft (unsere Gefühlswelt mit all ihren Facetten) mit Wachskreiden auf Papier bringen sollten, ohne Symbole, Piktogramme und konkrete Objekt-Darstellungen zu verwenden, sondern nur Flächen, Farben, Formen, Druckstärken etc. Ich weiss noch, wie ich dagesessen bin und dachte, dass ich das weder könne, noch dass es etwas an Erkenntnissen bringen würde. Umso überraschter war ich dann, als ich mich doch auf diesen inneren Prozess eingelassen hatte, was mir alles bewusst wurde durch das Malen und den Austausch in einer Vierergruppe. Ich begann an meiner Einstellung zu zweifeln und wurde offener für solche Experimente, was auch notwendig war, denn im Laufe der Weiterbildung kamen immer mehr Bewegungs-, Körper-, Farb-, metaphorische und szenische Methoden dazu, die uns einiges abverlangten und gleichzeitig viele Erkenntnisprozesse ermöglichten. Und im Meisterstück, unserem realen Beratungsprojekt in einem Kundensystem während er Ausbildung, wurden wir im Meisterstück-Team auch immer mutiger und begannen, nebst der vielen kognitiven Methoden auch immer häufiger und mit viel Gewinn sozialkünstlerisch zu arbeiten.

Verbindung von Wissenschaft und Kunst

Wissenschaftlichkeit, Kognition und Bewusstheit sind Fritz immer sehr wichtig gewesen. Er will Zusammenhänge verstehen, Nachvollziehbarkeit und Transparenz sind ihm ein Anliegen. Davon zeugen seine Bücher, Theorien, Konzepte und Modelle genauso wie sein präzises Beobachten, Nachfragen und Beschreiben. Gleichzeitig war ihm Kunst immer eine grosse Leidenschaft. Er hat schon in seiner Jugend Hörspiele geschrieben, war Regieassistent in einem Theater und an Literatur und Kunst interessiert und hat später dann mit seiner Frau Hannelie das künstlerische Marionettenspiel gepflegt. Wie er im Interview erzählt, dachte er lange, dass die Kunst und die Wissenschaft/Beratung zwei getrennte Welten seien und er diese beiden Gebiete nicht vereinen können würde. Als er dann am NPI in Holland merkte, dass gerade mit künstlerischen Mitteln soziale Entwicklungsprozesse gestaltet und unterstützt werden können, hat ihn das nicht nur begeistert, sondern angespornt, immer weitere und neue Ideen zu entwickeln, um verschiedene Kunstformen und Zugänge in Beratungs- und Entwicklungsprozesse einzubeziehen. Ich habe sowohl in Lehrgängen und Seminaren als auch in Projekten und bei Trigon-internen Auseinandersetzungen immer wieder erlebt, wie experimentierfreudig Fritz solche Methoden eingesetzt und weiterentwickelt hat, während es ihm gleichzeitig ein grosses Anliegen war und ist, Erkenntnisse und Erfahrungen aus den sozialkünstlerischen Methoden präzise auszuwerten, ins Bewusstsein zu heben und in umsetzbare Schritte zu übersetzen.

Archetypische Strukturen und Verbindung intuitiver Prozesse mit der Kognition

Ein besonderes Augenmerk legt Fritz auf die Nutzung archetypischer Strukturen und Muster. Archetypen sind zwar nicht gänzlich kulturübergreifend, sprechen jedoch auf einer grundsätzlichen Ebene die Strukturen unseres Bewusstseins an und sind deshalb intuitiv verständlich und können für die Lösung von Problemen, Konflikten oder in Entwicklungsprozessen einen Raum für Erkenntnisse öffnen und Orientierung geben.

So hat Fritz verschiedene metaphorische Methoden entwickelt, um mit Individuen, Gruppen und Organisationen an deren Fragestellungen zu arbeiten, indem das Erleben der Menschen in Bilder, Metaphern oder Geschichten transformiert wird. In diesen zeigen sich die grundsätzlichen Strukturen der Fragestellungen sehr schnell und deutlich und können befreit von den inhaltlichen Differenzen der «realen» Situation besser besprochen und genutzt werden, um kreative Lösungen zu erarbeiten. Auch sprechen sie das Unwillkürliche der Menschen an und können dann mit der Kognition verbunden und dadurch zu bewussten Entscheidungen und Entwicklungsschritten geführt werden.

Durch die langjährige Arbeit mit sozialkünstlerischen Methoden auf der Basis der grundlegenden Konzepte, denen ebenfalls Urbilder zugrunde liegen, und in Verbindung mit kognitiven Zugängen ist es möglich, eine Art «Grammatik der Intuition» zu entwickeln (eine Formulierung, die ich mir von Matthias Varga von Kibéd ausgeliehen habe). Diese «Grammatik» ermöglicht ein syntaktischeres Arbeiten: Es wird auf Strukturen und Muster von Fragestellungen und Situationen fokussiert statt auf die Inhalte (Semantik), was sowohl den Beratenden als auch den Klientinnen und Klienten ermöglicht, den Wald als Ganzes zu sehen statt nur die einzelnen Bäume und das Dickicht.

Zwar habe ich den expliziten Gedanken des syntaktischen Ansatzes erst später bei Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer vom SySt®-Institut kennen gelernt, als ich begann, mich mit den Systemischen Strukturaufstellungen auseinanderzusetzen. Jedoch fühlte sich die Grundidee, aufgrund von Modellen und Schemata syntaktischer zu arbeiten sofort vertraut an, weil ich dies schon durch Fritz’ Arbeit gewohnt war.

Ähnlich erging es mir, als ich begonnen habe, mich intensiv mit der Ericksonschen Hypnotherapie und dem hynosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt auseinanderzusetzen. Den kreativen und ganzheitlichen Einbezug unwillkürlicher Prozesse, des Körpers und die Verbindung mit der Kognition, die Arbeit mit Metaphern und Geschichten sowie das Reframing und die Utilisation bisheriger Lösungsversuche konnte ich sofort nachvollziehen und mit meiner Arbeit verbinden, hatte ich doch über die sozialkünstlerischen Methoden schon langjährige Erfahrung damit.

Selbstverständlich konnte ich sowohl bei SySt® als auch in meinen hypnosystemischen Weiterbildungen enorm viel dazu lernen und mein Repertoire und systemisches Verständnis deutlich erweitern. Dennoch war ich beeindruckt, wie umfassend die Modelle, Methoden und Vorgehensweisen von Fritz sind, und wie viel ich dadurch schon sehr früh in meiner Beratertätigkeit gelernt hatte.