Transformationsprozess als schöpferischer Sprung

Oliver Martin hat zur Transformation von Organisationen geschrieben, dass Transformation Be-GEIST-erung und Wärme braucht. Feuer transformiert im wahrsten Sinne des Wortes. Etwas Altes wird verbrannt, das Neue entsteht im Geiste oder ist schon da und es soll konkret in die Welt gebracht werden.

Der Mensch in der Organisation «trägt» die Entwicklung oder Wandlung in der Organisation. Diese Entwicklung ist von Spannungsfeldern begleitet. Das Alte gilt nicht mehr und das Neue ist noch nicht da. Damit das Neue gedeihen kann, braucht es nicht nur Wärme, sondern auch Wasser, damit etwas (in der Erde) gedeihen kann. Doch damit ist ein eigener, innerer Prozess verbunden, da das Alte losgelassen werden muss. Das kann ein Trauerprozess sein mit all seinen Phasen (von Wut bis Annahme, vergl. Kübler-Ross) oder ein schöpferischer Sprung (Kast), der am Wendepunkt (einer Krise) notwendig ist.

Diese Wechselwirkung von Mensch und Organisation während eines Transformationsprozesses wird von Gefühlen begleitet. Verena Kast hat den Wandlungsprozess in vier Phasen beschreiben. Der Wendepunkt kann durchaus als Krise beschrieben werden, die nicht von allen Menschen gleich intensiv oder dramatisch erlebt wird. Oft ist der Wendepunkt die erste bewusste Wahrnehmung, man steht an einem Scheideweg. Verhandelnd geht es dann von der Krisensituation zum Erfassen der Situation, Fakten werden zusammen getragen. Danach «gärt es» und ähnlich wie in einem Trauerprozess will man die Situation nicht wahrhaben und man beginnt an sich selbst zu zweifeln. Der Mensch fühlt sich blockiert und erlebt, dass es (scheinbar) nicht weiter geht. Es ist klar, dass es kein Zurück geben kann. Durch das bewusste Erkennen der Faktenlage und der eigenen Verunsicherung entsteht Erleichterung. Diese Entlastung verleiht neue Energie und man beginnt Varianten zu prüfen und sich einen neuen Weg zu bahnen.

Die vier Phasen und die begleitenden Gefühle nach V. Kast (2017)

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Diese Prozesse können im Coaching gut begleitet werden. Normalerweise will man die unangenehmen Gefühle und die Situation „weghaben“ und weil dies nicht sofort geschieht und man sich so „dumm“ anstellt, bewerten sich die Menschen oft mit Worten „stell dich nicht so an!“. Wichtig ist es, der Person die Krisensituation nicht „wegzunehmen“, sondern den Kontakt damit aufrecht zu erhalten und zu ermöglichen, dass Projektionen zurückgenommen werden können. Fähigkeiten und Ressourcen für das Meistern von (früheren) ähnlichen Situation können wieder aktiviert oder neu erarbeitet werden.

Die Übergänge in der Transformation bei Mensch und Organisation brauchen Rituale, Symbole und Geschichten.

Nun zurück zum Wasser. Eine schöne Geschichte von Wolf Lasko, die eine tolle Metapher dafür darstellt:

“Sich verwandeln lassen”

Ein Fluss wollte durch die Wüste zum Meer. Aber als er den unermesslichen Sand sah, wurde ihm angst, und er klagte: „Die Wüste wird mich austrocknen, und der heiße Atem der Sonne wird mich vernichten.“ Da hörte er eine Stimme, die sagte: „Vertrau dich der Wüste an.“ Aber der Fluss entgegnete: „Bin ich dann noch ich selber? Verliere ich nicht meine Identität?“ Die Stimme aber antwortete: „Auf keinen Fall kannst Du bleiben, was Du bist.“

So vertraute sich der Fluss der Wüste an. Wolken sogen ihn auf und trugen ihn über die heißen Sandflächen. Als Regen wurde er am anderen Ende wieder abgesetzt. Und aus den Wolken floh ein Fluss, schöner und frischer als zuvor. Und der Fluss freute sich und sagte: „Jetzt bin ich wirklich ich.“

In meiner Arbeit, beispielsweise im Coaching, fallen mir Geschichten, Metaphern oder intuitiv-kreative Arbeitsmethoden „spontan“ ein und verschaffen meist Linderung in der Situation - ohne die Situation weg haben zu wollen. Im Kontakt mit der Situation zu bleiben, bedeutet im Kontakt mit sich selbst zu sein. Krisenhafte Wendepunkte sind wie das Verbrennen im Feuer oder das Austrocknen in der Wüste. Die Handlungsfähigkeit der Person oder der Organisation sollte erhalten werden. Diese ist vor und nach dem Wendepunkt eine andere, aber bestimmte Fähigkeiten und Ressourcen wurden transformiert.

Literatur

Lasko, Wolf W. (2010): Dream Teams: 110 Stories für erfolgreiches Team-Coaching, Gabler
                 Wiesbaden. 2. Auflage

Kast Verena (2017): Der schöpferische Sprung. Vom therapeutischen Umgang mit Krisen.
                 Patmos Düsseldorf. 1. Erweiterte Auflage