Beyond Corona

Liest man Zeitung, hört man Radio oder unterhält man sich (unter Wahrung der Distanz) mit Nachbarn, Freundinnen und Freunden, Kollegen und Kolleginnen, so zeichnen sich zwei widerstrebende Sehnsüchte ab; wünschen sich die einen, dass sich durch die Coronakrise die Welt verändern möge, so drängen die anderen zurück zur alten Ordnung und zur alten Welt.
Manche nutzen die Zeit der Isolation für innere Einkehr, für Selbstreflektion und für die Erfahrung einer anderen, einer neuen Welt. Andere versuchen ihren gewohnten Lebensrhythmus aufrechtzuerhalten und gestalten den Alltag so, dass Hektik und ein möglichst nah-am-Bisherigen erreicht wird. Und manche vereinen beides in sich.

Dabei könnte der Virus uns ein Geschenk machen: das Finden und Ausbilden einer neuen Gesellschaft und einer neuen Wirtschaftsform.

Denn in Zeiten von Rückzug kann die Sehnsucht wiedererwachen nach dem Sinn, nach dem, was wichtig im Leben ist, nach dem Hinspüren und dem Erleben der eigenen Werte, nach Freundschaften, Familie, Nähe und Liebe. Viele berichten vom Geniessen des Frühlings und der Schönheit der Natur, von einem bewussten Gestalten des Tages zu mehr von dem, was uns glücklich macht wie gutes, gesundes Essen und Zusammensein.

Und doch konzentriert sich die Bewältigung der Krise durch Staaten, Firmen, Medien etc. auf die Rettung des bisherigen Systems. Um möglichst rasch zurück zur gewohnten Normalität zu gelangen. werden Billionen von Steuergeldern in die Wirtschaft gepumpt, damit Infrastrukturen (und auch Arbeitsplätze), Finanzsysteme, Verkehrsmittel, Konsumgüter und vieles mehr erhalten werden können.

Marshal Rosenberg stellte die Frage: „Dient das, was ich tue, dem Lebendigen, dem Leben?“ Hört man Wirtschaftskapitäne und Politiker reden, wird heute diese Frage kaum gestellt und auch nicht beantwortet. In Deutschland und der Schweiz wird fieberhaft nach Antworten gesucht auf die Frage, wie wir mit möglichst wenig Verlusten durch die Krise kommen und danach so weiter machen können wie zuvor. Wie kann genau das Wirtschaftssystem gerettet werden, was so dem Lebendigen nicht dient.

Gregory Bateson sagt: „Ein Lebewesen, das im Kampf gegen seine Umwelt siegt, zerstört sich selbst.“ Wir agieren so, als würde dieser Satz nicht für uns gelten.
Es gilt, die Welt zu verstehen und zu erobern. Dazu ist die Vorstellung der akademisierten Welt die Zerlegung von Welt, Natur, Mensch in Einzelteile. Diese Einzelteile werden dann erforscht und aus den Ergebnissen gestaltet man steuerbare und leistungsoptimierte Systeme. Werden die Einzelteile verstanden, dann kann die Welt beliebig zusammengesetzt werden. Ganz im Sinne von Pippi Langstrumpf: “Widewidewid ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Die durch Menschen gestaltete Welt verdrängt immer mehr die Natur:
Die Nahrungsmittel kommen aus dem Regal im Kaufhaus, zum Kommunizieren brauchen wir Telefone  oder das Internet, die Orte bereisen wir mit Fahr- oder Flugzeugen. Es wurde viel mehr möglich und wir gewöhnten uns an die Bequemlichkeit und die Sicherheit des Voraussagbaren.

Und jetzt plötzlich droht ein unsichtbares, kleines RNA-Stück – der Corona-Virus – alles zu zerstören und wirft uns auf uns zurück. Wir hätten, wir haben vielleicht jetzt die Wahl, zu entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen.

Entweder entscheiden wir uns, das Bisherige zu bewahren, also hin zu einer Welt der Systeme, die Sicherheit vorgaukelt, die bequem ist, die unbegrenzte Möglichkeiten vorgaukelt und die Natur zerstört, die Beziehungen instrumentalisiert und Ungleichheiten betont.

Oder wir entscheiden uns für etwas Neues, einer Welt des Lebendigen, des Glücklichseins und der Liebe. Dafür berühren uns Beziehungen, erfreuen uns Blumen und betört uns Geschmack und Geruch. Wir könnten uns für eine Welt entscheiden, in der Menschen sich um Menschen kümmern, um deren Wohlergehen und um das gemeinsame Gestalten der Zukunft.

Jeder und jede entscheidet sich aktiv oder passiv.

Wir wollen in einer neuen Welt leben, die dem Lebendigen dient.